johann_pachelbelUnser Junior spielt Trompete im Schulorchester. Mehrmals im Jahr treten die Schüler seines Gymnasiums in verschiedenen Besetzungen vor der versammelten Elternschaft auf, um ihre musikalischen Fortschritte zu demonstrieren. Das ist nicht immer ein Genuss. Besonders bei den jüngeren Schülern versagen oft die Nerven. So auch letzte Woche: Ein Quartett aus Mädchen war angetreten, um mit Johann Pachelbels Kanon, dessen bekanntestes Musikstück vorzutragen. Es wurde zum Fiasko. Bereits im ersten Takt verabschiedeten sich die Mädchen von ihren Mitspielerinnen, die beiden Geigen, die Flötistin und die Viola-Spielerin gingen getrennte Wege und lieferten gemeinsam eine Katzenmusik ab, die selbst den wohlmeinenden Eltern Schweißperlen ins Gesicht trieb. „Wie kann man auch solch olle Kamellen spielen“, meinte danach Sohnemann überheblich. Diese Meinung musste ich dann doch korrigieren und den Besserwisser spielen.

Den Komponisten Johann Pachelbel hatte ich vor langer Zeit im Klavierunterricht kennen gelernt. Mir waren die Etuden aus dem Barock immer wesentlich lieber, als die schwülstige Klaviermusik, die meine Klavierlehrerin eigentlich bevorzugte. So durfte ich eben Bach, Telemann, Purcell oder Pachelbel klimpern.

Jener Kanon nimmt eine Sonderstellung im hinterlassen Werk von Johann Pachelbel (1652-1706) ein und für seine Musik gar nicht typisch. „Kanon und Gigue in D-Dur“ ist genaue Bezeichnung. Das Stück bekommt durch seine Einfachheit seinen besonderen Reiz. Die zweitaktike Akkordfolge – D - A - h - fis / G - D - G - A  – kann jeder  Gitarrenanfänger leicht nachspielen, zur Not in C-Dur mit einem Kapodaster auf dem zweiten Bund. Die Sequenz wird ständig wiederholt, insgesamt 28 mal. Als Basslinie legte der Komponist ein einfaches Ostinato darunter.

Bei Pachelbels Kanon dürfte es sich um eines der meist gespielten Werke klassischer Musik handeln. Es gibt davon zahlreiche Aufnahmen mit unterschiedlichster Instrumentierung. Auch im fernen Osten, in Japan und Korea wird dieses deutsche Kulturgut häufig goutiert. Und auf Grund seiner Einfachheit, auf Grund seiner durchgängigen Akkordfolge und seiner eingängigen Melofieführung hat der Kanon Einzug in  unsere moderne Popmusik gehalten. Man glaubt es kaum – Rock-, Pop- und Jazzkünstler haben den Kanon nachgespielt, neu interpretiert oder ein eigenes Produkt daraus kreiert. Meine kleine Übersicht erhebt aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit!

Wer sich jetzt an Pachelbels Kanon nicht so genau erinnert, wer also nicht weiß, von was ich hier rede, möge sich zunächst mal das Stück in Originalbesetzung anhören.


Ausgerechnet mit den Bee Gees wollen wir danach unsere kleine musikalische Demonstration beginnen. Die Schnulzrocker um die Gebrüder Gibb hatten 1966 ihren ersten großen Hit mit  Spicks and Specks. Und sie verwendeten dafür als Vorlage offensichtlich unseren Kanon.

 

Wer kennt heute eigentlich noch Aphrodite's Child? 1968 kletterte der Song Rain and Tears der griechischen Rockband in den deutschen Charts nach oben, danach hat man nie wieder etwas von denen gehört. Wikipedia katalogisiert die Gruppe als progressive Rock, ich halte das für übertrieben. Jedenfalls mit „Rain and Tears“ bewegten sich die Griechen eher konservativ auf Pachelbels Spuren.

 

Wechseln wir das Lager, gehen mal rüber in die untergegangene DDR. Die hatte im Bereich der Popmusik nur wenig Bleibendes hinterlassen. Eine Ausnahme dürften vielleicht die Puhdys sein, deren Songs es auch bis in den Westen schafften. Als Begleitmusik zum DDR-Kultfilm „Die Legende von Paul und Paula“ nahmen die Puhdys 1973 den Song Wenn ein Mensch lebt auf, als Komponist zeichnet ein gewisser Peter Gotthardt. Na ja – eine gewisse Ähnlichkeit zu „Spicks and Specks“ der Bee Gees kann man ja wohl kaum abstreiten und damit wären wir wieder beim ollen Pachelbel.



Machen wir mal einen Sprung über 20 Jahre. Die nächsten Kandidaten möchte ich mal schnell passieren. Wir hätten da die Blues Travellers mit ihrem Stück Hook (1993) und John Scatman mit „Scatmans World“. Beide muss man nicht unbedingt kennen, die Videos gibt es erst im Nachklapp.


Interessanter ist da schon der HipHopper Artis Leon Ivey jr., musikalisch besser bekannt als Coolio. In Deutschland erreichte er mit "Gangsta's Paradise" 1996 Platz Eins in den Charts. Ein Jahr später veröffentlichte er sein Album „My Soul“, als Single wurde daraus C U When U Get There ausgekoppelt. Hier wurde gleich ein großer Teil des Kanon im Original mit verwurstet.

 

Britney Spears hat in letzter Zeit mehr durch diverse Eskapaden als durch musikalische Bestleistungen auf sich aufmerksam gemacht. 2004 war ihre Welt noch in Ordnung, im Song Everytime wandelt sie da auch etwas auf Pachelbels Spuren. Das dazu gehörige Video bei Youtube darf nicht hier her gebeamt werden (externer Link).

Gehen wir zurück nach Deutschland, genauer nach Köln-Porz. Von dort kommen die Deutsch-HipHopper Die Firma und die konnten den guten Pachelbel ja nicht der amerikanischen HipHop-Konkurrenz überlassen. Aus ihrem 2005 erschienen Album Krieg und Frieden wurde die Single Die Eine ausgekoppelt. Pachelbel und HipHop scheint eine erfolgreiche Mischung zu geben, denn die Single wurde zum bekanntesten Song der Gruppe.

 

HipHop und kein Ende – ebenfalls aus dem Jahr 2005 stammt eine Aufnahme der Gruppe Mattafix. Die Gruppe um den auf der karibischen Insel St. Vincent aufgewachsenen Musiker Marlon Roudette hatte in diesem Jahr ihren großen Durchbruch mit dem Song Big City Live. Und auch da hat unser Barockkomponist wieder deutlich seine Spuren hinterlassen. Marlon ist übrigens der Stiefsohn von Neneh Cherry (7 Seconds).



Damit soll es mit all den Kanon-Plagiaten zunächst Schluss sein. Doch eine Bemerkung möchte der Autor noch gerne los werden. Natürlich war es für all die Künstler legitim, auf das Werk eines Barockkünstlers zurückzugreifen. Denn nach unseren heutigen Gesetzen ist sein Schaffen nicht mehr rechtlich geschützt.

Allerdings wäre auch die Frage zu stellen, ob solch ein Rückgriff auf einen alten Barockmeister selbst wieder über so lange Zeit urheberrechtlich geschützt werden muss. Und ob das  geltende Urheberrecht von 90 Jahren nach dem Tod des Urhebers oder dem Schutzrecht für Tonaufnahmen über 50 Jahre nach Veröffentlichung nicht viel zu viel der Ehre für solch abgeleiteten Werke sind. Und ob man nicht nachdenken sollte, solche Fristen für all die Popmusik deutlich zu verkürzen. Denn meist fehlt es ihr an Schöpfungshöhe und -Phantasie und greift auf vorherige Vorlagen zurück.


Nachklapp:
Wer blutiger Gitarrenanfänger ist, kann die Harmonienfolge auch in C-Dur zupfen. Das geht dann so: C - G - a - e / F - C - F - G (große Buchstaben Dur-Akkord, kleine Buchstaben Moll-Akkord).

Also mir reichts jetzt mit all den Kanon-Plagiaten, ich kann die Nachmacher nicht mehr hören. Wer noch eine Prise als Nachschlag braucht, findet nachstehend noch einige Varianten.

Die Blues Travellers mit ihrem Song Hook wollen auch nicht hier her kommen. In der Nachbarschaft sind sie aber anzutreffen.

John Scatman - Scatman's world

Joe Satriani - Canon

Rick Wakeman - Canon