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Rachid Taha und seine Musik

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21 Jahre 5 Monate her #13677 von herbatman
Rachid Taha und seine Musik wurde erstellt von herbatman
Rachid Taha - Rai zwischen Provokation und Perfektion

"Rai, das ist die Musik der algerischen Outlaws – jedenfalls war sie das lange, bevor Khaled sie mit netter Popmusik paarte und damit auch die nette Hausfrau von nebenan erreichte. Gilt er vielen als der Inbegriff des Rai, der verlässlich Hits und kleinere Marketingskandale produziert, so ist Rachid Taha wohl der ständige Widerspruch - oder sollte man sagen: das böse Gewissen des Rai?

Provokant, wie Khaled es niemals war, geht Rachid Taha seinen Weg. Wo Khaled vorsichtig zu schlichten versucht, spricht Taha Probleme offen aus; wo Khaled mit netten und allseits bewährten Reggae-Rhythmen »experimentiert«, donnern bei Taha die Dancegrooves der stroboskopgeschwängerten Tanztempel zwischen New York, Paris und Berlin. »Rai heißt ja wortwörtlich übersetzt, eine Meinung zu äußern«, so Rachid Taha »und wenn diese Meinung eine unbequeme ist oder nicht konform mit der vorherrschenden, warum sollte ich sie dann in eine nette und beschönigende, also konforme Musik verpacken?«

Rachid Taha scheint die Widersprüche nicht nur zu lieben und zu leben. Er zieht sie förmlich an. Geboren während des algerischen Bürgerkriegs, zog er bald mit seinen Eltern ins friedliche Frankreich, wo er eine Klosterschule besuchte. Diese, so sagt er heute, hätte ihn nicht in seinem Glauben erschüttern können, aber den Geist der Opposition in ihm hat sie bestimmt gestärkt und entwickelt. Welcher Jugendliche ließ sich schon Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre noch etwas sagen und dann noch von Nonnen! Auch der spätere Job in einer Fabrik für Heizanlagen in Lyon war eher Mittel zum Zweck der Musik. Der Umzug ins große Paris brachte ihm dann endlich die Chance, nach der er sich gesehnt hatte. In Vierteln wie Barbes (übrigens auch der Titel des ersten Solo-Albums) fand er sich nicht nur unter Seinesgleichen - den Außenseitern, legalen und illegalen Einwanderern und Desperados auf der ewigen Suche nach dem großen Glück - sondern auch in einer quirlig lebendigen Musikszene, in der die Traditionen der Heimat gepflegt wurden und mehr als nur Orientierung im tagtäglichen Kampf um Anerkennung und eine sichere soziale (und auch kulturelle) Stellung in der neuen »Heimat«. Bald fand er sich mit anderen Gleichgesinnten zusammen, und das große Abenteuer der Musikerkarriere von Rachid Taha begann.

Dass er mit seiner Band Carte de Séjour (die französische Bezeichnung für Aufenthaltsgenehmigung) fast zwangsläufig in die Antirassismus-Bewegung Frankreichs geriet, versteht sich nahezu von selbst. »Man soll das nicht überbewerten! Dieses Wort vom Kampf gegen den Rassismus ist inzwischen so banal. Nicht ich habe ein Problem mit dem Rassismus, sondern die Leute, die rassistisch sind, haben eines mit mir.« Ist dies nun lediglich orientalische Gelassenheit, die da zum Vorschein kommt oder bitterster Sarkasmus? Darüber kann man sich bei Rachid Taha nie ganz sicher sein. »Europa, wie es derzeit besteht und - noch viel mehr - wie es sich in der europäischen Gemeinschaft entwickeln wird, ist arisch blond. Wir sehen das doch überall. Nicht nur, dass Nordafrikaner, Asiaten oder Lateinamerikaner ausgegrenzt werden. Was ist denn mit den serbischen Kriegsflüchtlingen, mit Italienern oder Türken in dieser ›Gemeinschaft‹? Auch sie haben alle keine Chance. Ich fühle mich als Franzose algerischer Herkunft, also als Europäer, und warum soll ich nur wegen meiner schwarzen Haare nicht dazu gehören dürfen?!«

Sprach’s aus und färbte sich dann auch demonstrativ die Haare für das Cover und die Tour zum Album Olé Olé (Claudia Schiffer-) blond. Inzwischen sind sie wieder schwarz und wer nach versteckten Hinweisen zum Querdenken auf dem Cover des neuen Albums Medina sucht, geht offensichtlich erst einmal leer aus. Eher führt der Titel in die Irre, denn eigentlich beschreibt das neue Projekt den Ausflug Tahas nach New Orleans, die Wiege des Jazz und Funk. »Aber dort findest du auch unglaublich viele Orte mit algerischen Namen! New Orleans ist dichter an Algerien als jede Stadt in Frankreich. Außerdem liebe ich die Musik von Dr. John, von Allen Toussaint und den Meters. Gerade in den psychedelischen Voodoo-Alben von Dr. John gibt es auch viele Parallelen zu den Trance-Gesängen der Berber in Nordafrika – das habe ich erst in New Orleans entdeckt.«

Natürlich hieß auch hier einmal mehr die Eintrittskarte Steve Hillage, seit Jahren musikalischer Weggefährte und Produzent. Man kann kaum noch auseinander halten, wer der Beiden für die schneidenden Gitarren verantwortlich ist, die den netten arabischen Groove im Opener des neuen Albums in der Luft zerreißen, wer die psychedelische Hammond-Orgel mit einem arabischen Streichorchester zu paaren. Immerhin warfen Rachid Taha viele Landsleute und Kritiker in den letzten Jahren vor, den Rai derart durch den musikalischen Fleischwolf zu drehen und ihn mit allen möglichen Stilen zu versetzen (oder auch zu strecken), dass man eigentlich nicht mehr von Rai bei ihm sprechen könne. »Sicherlich habe ich mehr als einmal gehört, dass ich zu intellektuell in meinem Stil sei. Meine Musik könnte man wohl Progressive-Rai nennen, liegen meine Wurzeln doch in Algerien, aber die Art und Weise, wie ich damit umgehe, ist sicherlich vom Rock’n’roll geprägt. War meine Musik vielen früher zu avantgardistisch, greifen jetzt auch viele Sänger die Rhythmen auf, die ich als erster mit Rai kombinierte. Es ist nur musikalische Evolution, wenn ich Techno und Rai, Rock und magrebinische Musik miteinander kombiniere.« So spielte denn Hossam Ramsy, der ägyptische Meisterpercussionist, der auch das Comeback der alten Rockheroen Jimmy Page und Robert Plant alias Led Zeppelin veredelte, diesmal die Technogrooves live auf traditionellen Instrumenten ein. »Und denke nur nicht, dass Steve für die Avantgarde und Hossam für die Tradition zuständig ist! Immer öfter musste Steve ihn dazu bringen, nicht noch moderner zu spielen. Manchmal war Hossam viel avantgardistischer, als Steve es sich hätte vorstellen können!«

Der Vorwurf, die Grenzen der einst traditionellen Musik zu sprengen, ist Rachid Taha auch schon lange bekannt. Derartiges hörte er schon zu Zeiten von Carte de sejour, und auf der anderen Seite waren es gerade dieser weitere, globalere Blick auf die Musik als solche, die seine Musik immer von anderen unterschied, ihm Anerkennung in der europäischen Weltmusikszene einbrachte und die auch andere Bands wie Mano Negra oder Les Negresses Vertes beeinflusste. »Weltmusik, global Pop? Ich finde mich überall dort wieder, wo Musiker offen aufeinander zu gehen. Wir können heute im Internet so einfach wie noch nie über Erdteile hinweg miteinander kommunizieren und sprechen doch immer weniger miteinander. Musik wird als Kommunikation aber immer wichtiger, denn wenn wir schon nicht miteinander reden, so hören wir doch alle Musik.«

Kommunikation ist eines der großen Stichworte für Rachid Taha. Nur wer nicht mehr miteinander spricht, wird sich irgendwann so wenig für den anderen interessieren und ihn so wenig achten, dass er dazu in der Lage wäre, ihn im schlimmsten aller Fälle mit einer Waffe zu bedrohen. Aber gerade in Zeiten des so oft zitierten kulturellen »Meltdowns« wird es doch immer wichtiger, neben all den neuen und verschiedenen kulturellen Einflüssen die eigene Kultur und eigene Identität nicht aus den Augen zu verlieren. »Der kulturelle Austausch ist doch keine Einbahnstraße, so wie er sich heute leider nur zu oft gestaltet«, meint Rachid Taha. »In Zeiten von MTV richtet sich vieles in der Rock- und Popmusik am dreieinhalb Minuten-Standard der amerikanischen Radio- und Videoformate aus. Damit sind bestimmte musikalische Strukturen von vornherein ausgeschlossen. Ist das das neue multikulturelle Zeitalter? Wer sagt denn, dass etwa arabische Musik nicht irgendwann einmal den amerikanischen Rock’n’roll grundlegend umkrempelt?!« Prophezeiung oder Provokation? Mit dem Album »Medina« jedenfalls hat er schon einen großen Schritt in diese Richtung getan."

In meinem :slsk: -Ordner sind von ihm folgende CD`s zu finden:

1. Rachid Taha - Live in Medina
2. Rachid Taha - Live
3. Rachid Taha - Diwan
4. Rachid Taha - Ole Ole
5. Rachid Taha - Carte Blanche
6. Taha/Khaled/Faudel - 123Soleils

Als Einstieg in die Materie kann ich euch die "Live" wärmstens empfehlen.


Schönen Tag noch

:) Herbatman :)

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