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Poet des Ungekämmten
Einmal Wunderland und zurück: Endlich wieder Neues von Tom Waits
Von Adam Olschewski
Es weiß keiner, woher er eher kommt, vom Blues oder vom Motel. Aber vielleicht ist es nicht so wichtig, vielleicht gibt es gar keine Wahl, vielleicht gilt hier ein Sowohl- als-auch. Es verlaufen ja wenige Trennlinien in Tom Waits Werk, wozu dann diese noch. Blues und Motel haben sich tief in ihn eingegraben, das steht außer Frage.
In den Siebzigern lebte er fünf Jahre lang in verschiedenen Motels, bevor er, als er einen Zipfel des Ruhms erfasste, im Tropicano Motel in West Hollywood sesshaft wurde. So hat ihn das Vorläufige, Nomadenhafte, abgeschabt Pappwändige nachhaltig geprägt. Andererseits eben der Blues, stapeln wir gelassen hoch, die Genesis der Populärmusik. Klage mit vager Hoffnung auf neuen Anstrich, das heißt: auf Läuterung, daraus besteht sein Stoff.
Nichts deutet darauf hin, dass er seine Prägungen je loswerden wird; doch Zäsuren in Werk lassen sich ausmachen. Zunächst als er von Asylum Records zu der Plattenfirma Island wechselte und Abschied vom schwelgerisch geigenlastigen, gerne melancholischen, jazzunterfütterten Songmaterial nahm und größere Risiken einging, indem er im Text herber, im Aufklauben von musikalischen Restposten aber unberechenbarer wurde. Mit Mule Variations von 1999 dämpfte er seine Unerbittlichkeit vorübergehend und wilderte im Cave/Dylan/Cash-Revier; vervierfachte also kurzfristig die Dreifaltigkeit der Prediger und sagte in einer zugänglichen Produktion jeder Form des Ungewaschenseins so long.
Und jetzt? Jetzt bereitet er den Boden für die nächste Zäsur vor. Lässt zwei CD's gleichzeitig erscheinen; mit Alice eine, deren Material er für das Stück nach Lewis Carroll am Thalia Theater in Hamburg, mit Blood Money eine, die er als Klangspur für Georg Büchners Woyzeck am Betty Nansen Theater in Kopenhagen komponierte; in beiden Fällen inszenierte der Minimalästhet Robert Wilson.
Auftragsarbeiten demnach, der wahre Waits ist woanders. Nein, so stimmt das nicht. Denn Waits bleibt bei sich. Nostalgisch und verklärend, mit seltener Ruhe, blickt er zu seinen Anfängen zurück; auch deshalb taucht in Alice so oft das Wort "Traum" auf. Sicher entledigt uns die traumhafte Atmosphäre jener Schreckensmomente, die Realität, allemal die Realität von Waits, für uns bereit hält. Was ihn aber dann, den gelenkigen Reiter der Apokalypse, an Alice's Adventures in Wonderland gereizt hat? Jeder, der das Stück damals im Theater gesehen hat, weiß wie vehement sich das Team Waits/Wilson auf die pädophile Komponente gestürzt hat, auf Carrolls Zuneigung zur minderjährigen Alice. Diese Obsession galt es zu fixieren.
Doch Waits spielt im Soundtrack, den er in einem Wisch und mit ähnlicher Mannschaft wie der von Blood Money eingespielt hat, die Obsession eher zart aus. Anders erst im Dreiminüter Kommienezuspadt, wo sich die Fähigkeit von Waits, aus wenigem mehr zu machen vollendet. Zwei Formeln genügen, um Zerrissenheit und Irrsinn, der emporsteigt, sich windet und nicht aufhören will anzuzeigen: jenes "Kommienezuspadt" und, in genauso verquerem Deutsch: "Sei puklich". Ein billiger, aber swingbarer Beat, unversöhnliche Wiederholung und Stimmgrollen, bei dem er offenbar Magensäure spuckt, die dann die Drahtmaschen des Mikrophons im In The Pocket Studio, Forestvillle, CA, verstopft - Schluss, aus. Man war drin.
Er wurde auf dem Rücksitz eines Taxis geboren und man könnte viel daraus ableiten - an Jim Jarmuschs Night On Earth, dem Taximelorama schlechthin, war er beteiligt. Womöglich wäre er aber auch dann, wenn er daheim hinter der Schlafzimmertür geboren worden wäre, ein Zugvogel geworden. Was darf man aber bald 53 Jahre nach seiner Geburt von Tom Waits, dem abgezockten Angsteinflüsterer, erwarten? Als Bild in uns ist er fertig. Seine Ästhetik der Schäbigkeit komplett, eingenommen, verdaut. Alles ist schon mal da gewesen: das Timbre, das Furcht oder Reue oder fortwährende Verdammnis, jedenfalls Zustände biblischen Ausmaßes, verspricht; ferner: die defekten, richtungslosen, triebgesteuerten Blaskapellen... ; was also bitte noch? Nun. Noch mehr kaputte Bands, noch mehr Düsternis.
Gott ist ausgegangen
Tatsache ist, dass Waits einen nach wie vor zu ruinieren vermag: Weil er seine Textzeilen wirksam zu setzen und Eingängigkeit zu schätzen weiß, die er mit Horror durchsetzt. Alleine dieser Titel aus Blood Money, einfach und einsam treffend: God's Away On Business. Sechs Mal wird "God's away" wiederholt, "business" vier Mal, zwei Mal von einer spannungssteigernden Pause unterbrochen. Schon immer konnte Waits wie keiner sonst Sentenzen bis über die Schmerzgrenze hinaus repetieren. Als einer, der keine Illusionen über die Fehlkonstruktion dieser Welt zulässt; so singt er dann: "Misery's the River of the World / Misery's the River of the World; The ship is sinking / The ship is sinking; Starving in the Belly / Starving in the Belly / Starving in the Belly of a whale." Wiederholt er etwa, um Widerspruch zu wecken? Unwahrscheinlich, aber möglich. Sogar ein Tom Waits, der mit Inbrunst Merksätze aus einer selbst gedichteten Offenbarung aufsagt, kann letztlich nicht alles wissen. Auch er ist nur eine unvollkommene Schöpfung seines zornigen Gottes.
Was ihn für Woyzeck einnahm, dürfte leicht zu erklären sein: Woyzeck ist einer, den die Umstände zum Versager machen - solche Menschen hat Waits stets angefasst. Woyzeck, die gepeinigte und unebene Kreatur, sagt bei Büchner: "Wir arme Leut. Sehn Sie, Herr Hauptmann, Geld, Geld. Wer kein Geld hat. Da setz einmal einer seinsgleichen auf die Moral in die Welt. Man hat auch sein Fleisch und Blut. Unsereins ist doch einmal unselig in der und der andern Welt, ich glaub wenn wir in den Himmel kämen, so müssten wir donnern helfen". Und spricht jenem Waits aus seinem Motel vom Highway soundso aus der Seele, dem jeder Glaube an Gerechtigkeit abhanden kam. Oder etwa das hier, wieder Woyzeck/Büchner: "Wir habe schön Wetter Herr Hauptmann. Sehn Sie, so ein schön festen grauen Himmel, man könnte Lust bekomm, ein Kloben hineinzuschlage und sich daran zu hängen, nur wegen des Gedankstrichels zwischen ja und nein - ja und nein. Herr Hauptmann, ja und nein? Ist das Nein am Ja oder das Ja am Nein schuld?" Nichts ist schuld an nichts, dürfte Waits antworten, der Mensch ist wie er ist, totgeweiht und mit speckigem Kragen, der Herrgott aber auf Geschäftsreise. In Ewigkeit: Amen.
Er ist seine eigene Liga, deshalb bleibt nichts anderes übrig als ihn an sich selbst zu messen. Falls man das tut, erkennt man Müdigkeit. Man weiß allmählich zu gut, was drin ist, kauft man Waits ein: wohliger Grusel, Ingrimm, Bitternis, eine Geisterbahnfahrt durch ein Reich der Grimassenschneider. Man hat sich daran gewöhnt; gewann Abstand sogar. Hört man etwa God's Away On Business findet man sich plötzlich geradewegs bei The Teddy Bears' Picnic von Henry Hall & His Orchestra, wo die Bärenfamile gediegen-gefährlich brummend durch Landschaften stapft.
Mittlerweile hat man nämlich sein Brummen vernehmlich gehört und verstanden. Ist immer noch froh, dass es im Flachland des Pop wenigstens einen mit einer singulären, herausragenden Vision gibt. Nach wie vor möchte man jene Augenblicke nicht missen, vorwiegend in den langsamen Nummern, wo er genötigt wird, die Rauheit seiner Stimme zu strecken, so dass sie an Zugkraft verliert, an Anfälligkeit aber gewinnt. Wirklich enttäuschen tut er nie. Und doch ... diese Müdigkeit.
Auch diesmal ist er mit einem Leiterwagen voll ausrangiertem Krempel unterwegs, als würde er Mule Variations, den Top-Ten-Hit, bereuen und sich zurück zu den Tagen von Raindogs (1985) und Swordfishtrombones (1983) wünschen, wo sein Fundament als versoffener Louis Armstrong, Poet des Ungekämmten, ein übel riechender Wicht des industriellen Zeitalters, als Kurt-Weill-Epigone, heiserer Nachtschwärmer und so viele Etiketten mehr, jedenfalls: seine Festigkeit erfahren hat. Nichts und niemand kann aber den Lauf der Welt aufhalten, es gibt, wir wollen mal so unnachgiebig wie er sein, kein Zurück.
Tom Waits: Blood Money / Alice (Anti/Epitaph).
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sondern auch einige der TV-Rips die in Tauschbörsen kursieren, etwa "Austin City Limits" von 1978
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OskarMaria lebt und arbeitet in Frankfurt - hier mit Sohnemann. Wenn freie Zeit fürs Internet bleibt, dann gibt es hier neue Beiträge. Lieblingszitat: "Von den Dreien, Staat, Regierung und Ich - bin ich der stärkste. Das merkt euch!" (Ret Marut aka B. Traven im Ziegelbrenner)
Nachtrag: OskarMaria das ist eine kleine Verbeugung vor dem beinahe vergessenen Schriftsteller Oskar Maria Graf. In Zeiten der Bücherverbrennungen wurden seine Werke von den Nazis verschont, ja sogar teilweise empfohlen. "Verbrennt mich!" schrieb er 1933 in der Wiener Arbeiterzeitung, "nach meinem ganzen Leben und nach meinem ganzen Schreiben habe ich das Recht, zu verlangen, dass meine Bücher der reinen Flamme des Scheiterhaufens überantwortet werden und nicht in die blutigen Hände und die verdorbenen Hirne der braunen Mordbanden gelangen!" Schließlich floh er in die USA - dort lebte er in bescheidenen Verhältnissen. Deutschland wollte den unbequemen Mann nach dem Krieg nicht wieder haben. Er starb 1967 in New York.
Literaturempfehlung: Wir sind Gefangene - Autobiograhie 1927.
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