Viele Plattencovers sind langweilig und schlecht gemacht. Nur wenige Künstler verschaffen ihren Alben auch eine angemessene optische Präsentation. Doch manchmal können auch Hörer zu Covers die passenden Geschichten liefern, wie eine Erzählung unseres Mitglieds dYlan beweist.

survivorVom Meer her wehte jetzt eine kühle Brise in den Speiseraum des Hotels. Den ganzen Tag über war es heiß und stickig gewesen, obwohl wir bereits Ende Oktober hatten und ich hatte einige Hemden eingeschwitzt. Der Mann vom Touristenbüro hatte mir versucht, das kleine Städtchen Tabarka zu zeigen, ein touristisch ziemlich unbekannter Badeort im Norden Tunesiens nahe der algerischen Grenze.

Viel zu sehen gab es dort allerdings nicht. Das umzäunte Hüttendorf am Strand war von allen Gästen verlassen. Die kreisrunden Bungalows dort waren aus Beton gegossenen  mit einem Dach aus getrockneten Palmwedeln. Zwei Schaumgummimatratzen & eine Apfelsinenkiste als Nachttisch waren die ganze Ausstattung. Doch im Sommer sollte das Dörfchen  trotz seiner einfachsten Ausstattung angeblich immer ausgebucht sein. Denn dazu gab es noch ein größeres Amphitheater. Dort veranstaltete das tunesische Kleinstädtchen von Juli bis August ein Musikfestival mit ausgesuchten Künstlern. Für das kommende Jahr wollte ich das Festival in das Programm eines deutschen Jugendreiseveranstalters aufnehmen, für den ich arbeitete. Angekündigt waren Miriam Makeba, Idir und auch Keith Jarrett.

Jetzt saßen wir im einzigen Hotel von Tabarka, meine Kollegin und ich. Wir hatten gerade Abend gegessen und schwatzten noch etwas bei tunesischem Rotwein. Normalerweise hätte ich solch eine Tour alleine unternommen. Doch wenige Wochen zuvor hatten wir eine neue Sachbearbeiterin eingestellt, die zukünftig auch dieses Festival betreuen sollte. Zur Einarbeitung nahm ich Annemarie gleich mit. Sie war eine junge Französin mit lustigem Akzent und richtig schnuckelig anzusehen. Außerdem lachte sie mich immer aus, wenn ich meine geringen Französischkenntnisse herauskramte und mit den Tunesiern um Kontingente, Preise & Transferkosten feilschte.

Am Nachbartisch saß eine Gruppe orientalischer Männer. Sie tranken amerikanischen Whiskey, qualmten große Zigarren und scheuchten die Kellner ständig nach neuen Spezereien. Ein junger Mann erhob sich, kam zu uns herüber und fragte in Akzent freiem Englisch selbstbewusst, ob er sich setzen könne. Er war wie ein Araber gekleidet mit einem weißen Kaftan und einem Turban auf dem Kopf. Die Kleidung konnte seinen massigen Körper nicht verdecken, sein schwammiges Gesicht war verschwitzt und ausdruckslos. Er stellte sich als Student eines arabischen Emirates vor. Großspurig winkte er gleich den Kellner herbei und bestellte süßen Pfefferminztee für uns alle. Nach einer Weile belangloser Plauderei kam er ungeniert zur Sache. Er hatte sich in die süße Annemarie verknallt & wollte sie abschleppen.

Zuerst hatte er angenommen, dass Annemarie und ich irgendwie verbandelt wären. Doch als er hörte, dass ich ihr Chef war, fing er an zu strahlen. Da in seinen Augen alles seinen Preis hatte, wollte er jetzt mit mir über die Höhe der Ablösesumme verhandeln. Annemarie wurde gar nicht gefragt. Für den Anfang bot er tausend US-Dollar und erhöhte im Gespräch langsam die Summe. Mir war die Sache ziemlich peinlich und ich reagierte brüsk ob solcher Unverschämtheiten. Das störte ihn nur wenig, er meinte vielleicht, ich wolle nur den Preis weiter hochtreiben. Die junge Französin saß die ganze Zeit still und verlegen am Tisch und blickte in ihr Weinglas. Schließlich kürzte er die Verhandlungen ab, legte ein Bündel Geldscheine auf den Tisch und meinte, dass mit zehntausend Dollar doch der Handel abgeschlossen wäre. So ein Angebot könne ich nicht ausschlagen. Er zog an Annemaries Ärmel und wollte mit ihr den Tisch verlassen.

Ich brüllte ihn an und packte ihn am Kaftan. Irgendwie hatte er dann doch geschnallt, dass meine Begleiterin unverkäuflich war. Jetzt wurde er richtig aggressiv und begann auf Arabisch zu drohen. Einige Kellner waren inzwischen dazu gekommen, stellten sich zwischen uns und einer meinte zu mir, dass es besser wäre, wenn wir uns schnell in unsere Zimmer zurückziehen würden. Die Situation wäre für uns äußerst gefährlich und für unsere Sicherheit könne er nicht garantieren. Besser wir würden morgen in aller Frühe das Hotel verlassen. Wir verzogen uns auf unsere Zimmer und brachen ohne Frühstück am kommenden Morgen auf. So hatte meine Exkursion mit Fräulein Annemarie eine unerfreuliche Wendung genommen. Und wir sind uns leider während der darauf folgenden Tage in Tunesien nicht näher gekommen, so sehr ich mich auch bemühte.

Ein paar Jahre später stutzte ich, als ich einen Stapel Neuerscheinungen in einem Plattenladen durchsuchte. Das Cover kam mir seltsam bekannt vor. Es war ein Foto jenes Hotels in Tabarka, Les Mimosa. Genau dort – wo mir dieses arabische Arschloch die Kollegin abkaufen wollte. Und auch der Titel passte: The Survivor’s Suite. Denn auch wir hatten damals das Hotel nur mit Mühe überlebt. Keith Jarret, der  bei jenem Musikfestival in Tabarka aufgetreten war, hatte wohl von dort das Cover-Foto mitgebracht. Klar – dass ich mir dieses Album sofort gekauft habe. Und es hat sich gelohnt. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich Keith Jarrett nur allein oder zusammen mit europäischen Künstlern klimpern gehört. Diese CD hatte er 1977 mit amerikanischer Besetzung aufgenommen und es ist ein sehr intimes, vielseitiges Album geworden. Mediative Teile werden durch freie Improvisationen aufgelöst, der All Music Guide vergibt dem Werk die Bestnote.

Manchmal, wenn ich Abends noch Musik hören & träumen will, dann greife ich zur Survivor's Suite, schließe die Augen und träume von Tête-a-Têtes mit hübschen französischen Mademoiselles. Wie böse orientalische Prinzen einmal kamen und mir eine solche rauben wollten. Und von meiner morgentlichen Flucht aus dem Serail.

dYlan